Was zählt am Ende wirklich?
(10.10.2025) Was beschäftigt Menschen, wenn sie auf dem Sterbebett liegen? Diese Frage klingt im ersten Moment nach verpassten Chancen oder späten Erkenntnissen. Doch wer regelmäßig Menschen in ihrer letzten Lebensphase begleitet, sieht ein anderes Bild. Christine Kohlert ist Pflegefachkraft im Neusser Augustinus Hospiz, einer Einrichtung der St. Augustinus Gruppe. Sie schildert, was Sterbenden tatsächlich wichtig ist – und schnell wird klar: Es sind selten die großen Lebensversäumnisse.
Kleine Wünsche, große Bedeutung
Eine Weltreise, ein Fallschirmsprung oder ein spätes Coming-out? „Wenn unsere Gäste bei uns ankommen, spielt das für sie oft keine Rolle mehr“, sagt Christine Kohlert, die seit acht Jahren im Augustinus Hospiz arbeitet. Hier gehe es um das Jetzt – um das Hiersein und um ganz existenzielle Bedürfnisse: keine Schmerzen zu haben, atmen zu können, keine Angst zu verspüren.
Schon kleine Gesten können dabei viel bewirken. „Eine Gästin möchte jeden Abend Bratkartoffeln mit Spiegelei essen – und wenn es keine Bratkartoffeln gibt, dann wenigstens ein Spiegelei“, erzählt sie. Für andere ist es ein Campari Orange oder eine Klangmassage. Manche letzte Wünsche sind außergewöhnlicher – eine Fahrt ans Meer, ein Konzertbesuch oder auch eine Hochzeit mit Candle-Light-Dinner im Hospizzimmer. „Das ist wirklich eine Ausnahme, die uns alle sehr bewegt hat. Im Alltag sind es aber eher die Kleinigkeiten, die den Unterschied machen.“
Zwischen Loslassen und Dankbarkeit
Reue über das eigene Leben ist selten, berichtet Christine Kohlert. „Je älter die Menschen, desto weniger bereuen sie. Viele sagen: Wir hatten ein gutes Leben. Wir waren 50 Jahre verheiratet. Was will man mehr?“ Anders ist das bei jüngeren Gästen, besonders bei Eltern kleiner Kinder. „Da hören wir schon: Ich wünschte, ich könnte meine Kinder aufwachsen sehen. Das ist ein Schmerz, den wir ihnen nicht nehmen können.“
Auch letzte Gespräche spielen eine Rolle. Ein Telefonat mit einer entfremdeten Schwester kann helfen, Frieden zu finden – doch nicht jeder möchte darüber sprechen. „Wir drängen niemanden. Aber wenn Vertrauen da ist, entstehen oft zufällig sehr persönliche Gespräche.“ Reue erlebt sie häufiger bei den Angehörigen. „Es sind oft die Zurückbleibenden, die sagen: ‚Hätten wir doch noch mal …‘. Wir begleiten daher nicht nur unsere Gäste, sondern auch ihre Familien.“
"Leben ist jetzt"
Die Arbeit im Hospiz hat auch Christine Kohlerts Blick auf das Leben verändert: „Ich habe gelernt, nichts aufzuschieben. Leben ist jetzt – nicht erst in der Rente oder wenn irgendwann alles passt.“ Sie reist viel, verbringt Zeit mit den Menschen, die ihr wichtig sind. Ihre Erfahrung zeigt: Lebensqualität entsteht selten durch große Gesten, sondern in kleinen Momenten, vertrauten Routinen und geliebten Menschen. „Wir begleiten unsere Gäste nicht nur im Sterben“, sagt sie. „Wir gestalten mit ihnen gemeinsam die letzte Zeit ihres Lebens. Und manchmal ist das einfach ein halbes Brötchen mit viel Butter und Kirschmarmelade.“
Um jeden Tag seine unbezahlbare Arbeit leisten zu können, ist das Augustinus Hospiz auf Spenden angewiesen. Sie möchten das Hospiz unterstützen? Hier geht es zur Spendenseite